17.–19. Mai – Terra-Nova-Nationalpark

Wer einen Moment im Terra-Nova-Nationalpark verbringt, taucht in eine Welt voller Kontraste ein. Zwischen der schroffen Atlantikküste und den sanften Hügeln der letzten Appalachen-Ausläufer breitet sich eine Landschaft aus, die ihresgleichen sucht. Unglaublich, dass dieser erste Nationalpark Neufundlands erst 1957 gegründet wurde; trotzdem wirkt er, als gehöre er seit Jahrtausenden zum Bild der Insel.

Schon beim Eintreten spürt man: Der Park ist kein statisches Naturmuseum, sondern ein lebendiges Biotop. Typisch für Terra Nova ist seine enorme Artenvielfalt. Über 200 Vogelarten leben hier – darunter auch der Gelbbauch-Saftlecker, der Schwarzrücken-Waldsänger und der majestätische Weißkopfseeadler. Wer Glück hat, begegnet Säugetieren wie Elchen, Füchsen oder sogar Schwarzbären. Ein ganz besonderer Moment: Als wir frühmorgens einen Elch am Ufer entdeckten, blieb er für einen Wimpernschlag reglos stehen, drehte seinen gewaltigen Kopf und blickte uns direkt an. In diesem Augenblick schien die Welt stillzustehen; ich hielt unwillkürlich den Atem an, bevor das Tier gemächlich im Unterholz verschwand.

Nicht weniger beeindruckend sind die Pflanzen, die sich an das raue Klima angepasst haben: Sumpfporst, fleischfressender Sonnentau und seltene Orchideen säumen die Feuchtgebiete und Moore. Die Wälder bestehen aus alten Schwarztannen und Fichten, durchzogen von Heidelbeeren und Farnen, die im Sommer die Böden mit Grün und Blau überziehen.

Für Outdoor-Fans hält der Park mehr als 80 Kilometer Wanderwege bereit – darunter der berühmte Outport Trail, der sich über mehrere Tage entlang der zerklüfteten Küste zieht, und der Louil Hill Trail, auf dem man spektakuläre Ausblicke auf das Meer und die Buchten genießt. Wer lieber auf dem Wasser unterwegs ist, kann im Kajak die versteckten Buchten erkunden oder in einem der klaren Seen paddeln.

Abends, wenn die Sonne langsam hinter den Hügeln versinkt, entfaltet der Park eine ganz besondere Magie. Seit 2018 als offizielles Dark Sky Preserve ausgezeichnet, präsentiert sich der Sternenhimmel in atemberaubender Klarheit. Ich erinnere mich daran, wie wir auf einem Felsen saßen und Sternschnuppen über uns hinwegzogen – ein Gefühl von Weite und Frieden, das schwer in Worte zu fassen ist.

Trotz seiner Abgeschiedenheit ist Terra Nova gut erreichbar: Der Trans-Canada Highway führt direkt durch das Schutzgebiet. Perfekt für einen spontanen Tagesausflug oder – was zu empfehlen ist – für einen längeren Aufenthalt. Ob klassisch im Zelt oder komfortabel in den oTENTiks, den gemütlichen Holzhütten mit Zeltdach, hier findet jede*r einen Lieblingsplatz.

Schon am ersten Tag schnürten wir die Wanderschuhe und tauchten in die verwunschenen Pfade durch Kiefern- und Fichtenwälder ein. Beim Morgengrauen stieg Dunst von den Seen auf, Rehe huschten durchs Unterholz, und für ein paar Stunden war alles andere vergessen. Am Wasser sitzend, beobachteten wir Seeadler und zeichneten im Sand die Spuren des Windes nach – kleine, stille Glücksmomente, die bleiben.

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Der letzte Tag unserer Reise, der 30. Mai 2024, war ein Geschenk des Himmels. Halifax präsentierte sich von seiner strahlendsten Seite, mit einem tiefblauen Himmel, der die perfekte Kulisse für unsere letzten Erkundungen bildete. Wir tauchten ein in das lebendige Treiben am Hafen, wo Straßenkünstler die Promenade belebten und der Duft des Meeres in der Luft lag.

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Nach Wochen auf den endlosen Straßen Neufundlands und Nova Scotias war der Tag gekommen, an dem unser treuer Begleiter, das Wohnmobil, in Rente gehen sollte. Wir steuerten es zum Vermieter in Enfield, fest entschlossen, es in makellosem Zustand zurückzugeben. Als der Vermieter uns mit deutlicher Verwunderung ansah und fragte, warum wir so gründlich geputzt hätten, fühlten wir uns kurz ertappt. „Wir haben das Reinigungspaket gebucht“, erklärten wir, doch sein Schmunzeln verriet, dass wir uns diese Mühe hätten sparen können.

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Die Nachtfahrt auf der Fähre hatte etwas Meditatives. Draußen war nur das tiefe Brummen der Motoren zu hören, über uns funkelte der Sternenhimmel, und hin und wieder blitzte das ferne Licht eines anderen Schiffs am Horizont auf. Mit jeder Seemeile schien Neufundland ein Stück weiter hinter uns zu liegen. In den frühen Morgenstunden liefen wir in North Sydney ein – noch verschlafen, aber voller Vorfreude auf die letzten Etappen unserer Reise.