15. Mai – Von St. John’s nach Witless Bay

Unterwegs nach Witless Bay lag der Nebel schwer über der Straße. Doch ab und zu rissen die Wolken auf und gaben den Blick frei auf schroffe Klippen und das glitzernde Meer, das gegen die dunklen Felsen schlug. Salz lag in der Luft, und der Wind trieb feine Gischt über den Asphalt. Immer wieder hielten wir an, lehnten uns gegen die steife Brise und lauschten dem Kreischen der Möwen, das sich mit dem Donnern der Wellen vermischte.

Wir suchten uns einen geschützten Platz in einer kleinen Bucht bei Witless Bay, um wild zu campen. Die Stille wurde nur vom sanften Rauschen des Wassers und dem gelegentlichen Tropfen des Nebels auf das Wohnmobildach unterbrochen. Der Wanderweg, den wir am Nachmittag entlanggingen, führte über moosige Steine und an niedrigen Fichten vorbei, während wir Ausschau nach nach allem möglichen hielten und den salzigen Wind tief einatmeten.

Das Abendessen schmeckte nach einem langen Tag draußen doppelt gut, und wir genossen die Ruhe der einbrechenden Nacht. Campen hatten wir nun etwas drauf: Wir hatten unsere Abläufe gefunden, wussten, wie wir uns schnell einrichten konnten, und genossen es, mitten in der Natur zu sein. Gut, wenn man einen Stromerzeuger mit an Bord hat – das war echter Komfort und fühlte sich fast schon luxuriös an, während draußen das Meer in der Dunkelheit rauschte.

17.–19. Mai – Terra-Nova-Nationalpark

Wer einen Moment im Terra-Nova-Nationalpark verbringt, taucht in eine Welt voller Kontraste ein. Zwischen der schroffen Atlantikküste und den sanften Hügeln der letzten Appalachen-Ausläufer breitet sich eine Landschaft aus, die ihresgleichen sucht. Unglaublich, dass dieser erste Nationalpark Neufundlands erst 1957 gegründet wurde; trotzdem wirkt er, als gehöre er seit Jahrtausenden zum Bild der Insel.

Schon beim Eintreten spürt man: Der Park ist kein statisches Naturmuseum, sondern ein lebendiges Biotop. Typisch für Terra Nova ist seine enorme Artenvielfalt. Über 200 Vogelarten leben hier – darunter auch der Gelbbauch-Saftlecker, der Schwarzrücken-Waldsänger und der majestätische Weißkopfseeadler. Wer Glück hat, begegnet Säugetieren wie Elchen, Füchsen oder sogar Schwarzbären. Ein ganz besonderer Moment: Als wir frühmorgens einen Elch am Ufer entdeckten, blieb er für einen Wimpernschlag reglos stehen, drehte seinen gewaltigen Kopf und blickte uns direkt an. In diesem Augenblick schien die Welt stillzustehen; ich hielt unwillkürlich den Atem an, bevor das Tier gemächlich im Unterholz verschwand.

Nicht weniger beeindruckend sind die Pflanzen, die sich an das raue Klima angepasst haben: Sumpfporst, fleischfressender Sonnentau und seltene Orchideen säumen die Feuchtgebiete und Moore. Die Wälder bestehen aus alten Schwarztannen und Fichten, durchzogen von Heidelbeeren und Farnen, die im Sommer die Böden mit Grün und Blau überziehen.

Für Outdoor-Fans hält der Park mehr als 80 Kilometer Wanderwege bereit – darunter der berühmte Outport Trail, der sich über mehrere Tage entlang der zerklüfteten Küste zieht, und der Louil Hill Trail, auf dem man spektakuläre Ausblicke auf das Meer und die Buchten genießt. Wer lieber auf dem Wasser unterwegs ist, kann im Kajak die versteckten Buchten erkunden oder in einem der klaren Seen paddeln.

Abends, wenn die Sonne langsam hinter den Hügeln versinkt, entfaltet der Park eine ganz besondere Magie. Seit 2018 als offizielles Dark Sky Preserve ausgezeichnet, präsentiert sich der Sternenhimmel in atemberaubender Klarheit. Ich erinnere mich daran, wie wir auf einem Felsen saßen und Sternschnuppen über uns hinwegzogen – ein Gefühl von Weite und Frieden, das schwer in Worte zu fassen ist.

Trotz seiner Abgeschiedenheit ist Terra Nova gut erreichbar: Der Trans-Canada Highway führt direkt durch das Schutzgebiet. Perfekt für einen spontanen Tagesausflug oder – was zu empfehlen ist – für einen längeren Aufenthalt. Ob klassisch im Zelt oder komfortabel in den oTENTiks, den gemütlichen Holzhütten mit Zeltdach, hier findet jede*r einen Lieblingsplatz.

Schon am ersten Tag schnürten wir die Wanderschuhe und tauchten in die verwunschenen Pfade durch Kiefern- und Fichtenwälder ein. Beim Morgengrauen stieg Dunst von den Seen auf, Rehe huschten durchs Unterholz, und für ein paar Stunden war alles andere vergessen. Am Wasser sitzend, beobachteten wir Seeadler und zeichneten im Sand die Spuren des Windes nach – kleine, stille Glücksmomente, die bleiben.